Vor ein paar Tagen habe ich über die Inkaufnahme von Risiken geschrieben.
Ein wahrlich schönes Thema, ideal, um sich darin zu üben, Schwarz-Weiß-Denken zu verlassen.
Irgendwie fühlt sich das tägliche Leben so an, als ob ich immer mehr bevormundet werde, was die Erlaubnis, mich selbst zu gefährden, angeht.
Bei meiner Suche nach Beispielen fällt mir auf, dass es offenbar auch früher viel mehr Erlaubnis gab, mich zu gefährden. Ich erinnere mich sehr gut, dass ich als kleines Kind nie angeschnallt war, da unser Auto auf der Rückbank gar keine Gurte hatte. Es war dann schon wohl nicht erlaubt, im Kofferraum eines Kombi mitzufahren, passiert ist das trotzdem.
Dass nach Stürmen über Monate ganze Landstriche wegen der Gefahr umstürzender Bäume gesperrt werden, scheint mir auch neu zu sein. Das kann natürlich auch mit dem Klimawandel zu tun haben. Vielleicht sind früher die Bäume nicht so zahlreich umgefallen. Ich habe aber den Eindruck, dass es mehr darum geht, dass man heute erfolgreicher jemanden im Schadensfall haftbar machen kann.
Es wird vom Individuum heute nicht mehr verlangt, dass es selbst weiß, was gefährlich ist und was nicht, es wird versucht, die Risiken durch äußere Regeln zu minimieren.
Dass man mit unkontrollierbaren Risiken leben muss, ist vermutlich ein tabuisierter Satz. (Ich spüre förmlich, dass ich ihn relativieren muss, dass ich falsch verstanden werden könnte etc.)
Aber es stimmt: Ich kann relativ plötzlich auf einer Wanderung von einem Gewitter überrascht werden und von einem Blitz getroffen werden. Und ich finde die Vorstellung absurd, dass meine Angehörigen künftig prüfen könnten, ob rechtzeitig eine Unwetterwarnung herausgegeben wurde, oder z.B. die Höhe einer Hinterbliebenenrente oder Auszahlung einer Lebensversicherung davon abhängig gemacht werden könnte, ob ich nicht hätte wissen können, dass ein Gewitter kommt. Eventuell könnte die Lebensversicherung auch versuchen, den Deutschen Wetterdienst um Schadensersatz anzugehen, da die Unwetterwarnung falsch kategorisiert worden wäre.
Dann würde man die Warnungen eskalieren, um das zu vermeiden.
Was die Versicherungen angeht, würde sich dann allerdings das Wesen einer Versicherung ad absurdum führen. Die Versicherung macht ja nur dann Sinn, wenn ein Risiko für den einzelnen unklar und nur für die große Population abschätzbar ist. Damit treten dann viele für einzelne ein.
Und hier kommt der Punkt, in dem das Schwarz-Weiß-Denken ans Ende kommt. Man kann schon auch gut nachvollziehen, dass die vielen, die dafür bezahlen, dass einzelne unterstützt werden, auch möchten, dass diese verantwortlich mit ihren Risiken umgehen…
Das heißt aber eben auch: Wer Risiken eingeht, muss tatsächlich auch die Konsequenzen in angemessener Weise selbst tragen können.
Da spürt man, dass es alles Verhandlungssache ist, und keine allgemeinen Regeln gelten können. Ich empfinde insgesamt eine geringere Bereitschaft, Risiken zu tragen, aber dabei eine große Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Bereichen. Und das kann ich nicht gut nachvollziehen:
Warum investiert man Milliarden (oder sind es inzwischen schon Größenordnungen mehr?) in die Bekämpfung einer Pandemie, die man vor 50 Jahren noch weitgehend ignoriert hätte (so habe ich das über eine schwere Grippewelle Ende der 60er Jahre gelesen), während sich parallel durch den Klimawandel abzeichnet, dass in den nächsten 50 Jahren man wahrscheinlich nur den Kopf darüber schütteln wird, warum man jetzt die Prioritäten so gesetzt hat?
Es ist wie bei Einzelpersonen in der Psychologie: Eine tiefsitzende Angst wird vermieden und auf eine sich direkt bietende Gelegenheit übertragen, bei der man den Eindruck hat, man sei nicht so ohnmächtig.
Es ist so, wie ich mich verhalte: Ich habe diffuse Existenzängste, das Gefühl, alles könnte verloren gehen und ich verschwinde, stattdessen sitze ich hier und schreibe diesen Text, was zwar völlig sinnlos ist, mir aber das Gefühl gibt, ich könnte etwas tun.
Das ist aber auch ein gutes Schlusswort und ein Anlass für einen Cut – damit ich heute den Tag gut hinbekomme, muss ich mich mal endlich dem Frühstück widmen…